Mit Katy Karrenbauer zu sprechen, ist wie ein Bilderbuch zu öffnen: Die Schauspielerin, die gerade den “Big Brother”-Container überstanden hat, ist nicht nur eine super Schauspielerin, sondern eine begnadete Geschichtenerzählerin. In ihrem Buch “Ich wollte einen Hund – Jetzt hab’ ich einen Vater” erzählt sie, wie sie ihrem Vater wieder näherkommt, denn aufgewachsen ist sie mit ihm nicht, und besonders nahe standen sie sich auch nicht. Aber jetzt, wo der Vater in die Demenz abgleitet, seine Frau gestorben ist und sich eine Chance bietet, den Mann, der ihr jahrelang fremd war, endlich kennenzulernen, greift Katy Karrenbauer die Gelegenheit beim Schopf. Sie gibt alles – wie immer – und sagt im Interview mit ntv.de: “Wenn ich das nicht so machen würde, wie ich es gerade mache, dann könnte ich nie wieder in den Spiegel gucken.” Die Geschichte eines ungewöhnlichen Kennenlernens und einer späten Liebe liest sich atemlos.
ntv.de: Um mal mit der Tür ins Haus zu fallen – ich liebe dein Buch! Weil ich leider genau weiß, was du an vielen Stellen meinst. Als jemand, der viele Texte liest, dachte ich aber gleich: “Deine Sätze sind ja irre lang.” Aber sie nehmen einen auch vollkommen an die Hand und führen in dein aktuelles Leben.
Katy Karrenbauer: Das ist gut, das war der Plan. Natürlich wurden die langen Sätze anfangs angemerkt und ganz ehrlich: Ich habe die Lektorin nicht beneidet, mit mir zusammen arbeiten zu müssen (lacht). Man schreibt nicht so lange Sätze, ich weiß, aber es geht um Emotionen, meine Emotionen. Ich habe das Buch ja nicht geschrieben, um dem Leser eine Leichtigkeit zu verschaffen, ich möchte, dass die Leserin und der Leser verstehen, wie ich funktioniere, was mein Druck ist, meine Verzweiflung. Und das fühlt man nicht, wenn die Sätze in kurzen Häppchen angeboten werden. Ich möchte, dass die, die mein Buch lesen, mit mir mitgehen, in eine Welt, die meine Welt geworden ist. Und wenn das anstrengend ist – dann ist das eben anstrengend. Muss man ein Buch immer durchhecheln? Oder kann man da nochmal nachlesen? Ich denke schon.
Deine erste Idee war ja, das Thema filmisch umzusetzen, oder?
Ja, ich hatte sofort Michael Degen und seine Tochter im Kopf als Hauptdarsteller, aber das geht ja nun leider nicht mehr, denn unterdessen ist Michael gestorben. Aber ich habe nicht an einen Film gedacht beim Schreiben, sondern an die Geschichten, die ich weitergeben möchte.
Dein Vater lebt – wie hat dich das beim Schreiben beeinflusst?
La Karrenbauer mit Sascha Hehn im Sommer in Bad Segeberg, es wurde “Der Ölprinz” bei den Karl May-Festspielen gegeben.
(Foto: IMAGO/Future Image)
I Ich kann nicht einfach hinter den Geschichten verschwinden und von “damals” erzählen, das muss alles stimmen und Hand und Fuß haben, denn es ist auch seine Erinnerung. Er findet in dem Buch auch Antworten auf seine Fragen. Demenz und Alzheimer, das sind keine gemütlichen Themen, also kann ich es den Lesern auch nicht gemütlich machen. Was ich sonst ja gern tue (lacht).
Im Untertitel heißt es auch: “Wie WIR durch die Demenz unsere Geschichte neu erzählen.” Demenz bietet ja auch Raum für unfreiwillig Komisches …
Allerdings. Ich gehe nächstes Jahr auf Lesereise, dann muss ich das eh in meinen Worten vorlesen, auf meine Art, ich möchte das verständlich rüberbringen. Deswegen bewege ich mich in meinem Buch auch im Präsens. Ich gehe oft aus der Vergangenheit ins Jetzt. Ich scheue mich nicht, die Leser mitfühlen zu lassen. Ich persönlich möchte mich ja auch abgeholt fühlen, wenn ich etwas lese.
Man spürt jedenfalls sehr deutlich, wie wichtig dir das Buch ist, wie sehr es deine Sicht der Dinge spiegelt. Du schreibst schließlich darüber, auch Fehlentscheidungen getroffen zu haben, Ängste …
Ja, ich habe viel geweint. Ich bin quasi ein Tränenmeer. Seit ich – wieder – in dem Leben meines Vaters bin, seit ich diese Rolle eingenommen habe, die ich nun habe, bin ich so oft am Weinen, das kannst du dir nicht vorstellen. Das Gefühl, oft nicht auszureichen, ist immens. Das Gefühl, diese ganz großen Entscheidungen treffen zu müssen – ein Haus zu verkaufen, damit man die Pflege bezahlen kann zum Beispiel, nicht genug für ihn da zu sein, helfen zu können – das ist viel. Seine Frau (Anm.d..Red.: die nicht Katys Mutter ist) ist gestorben, ich habe übernommen, auch auf ihren Wunsch hin, und ich muss mich nun über ihn hinwegsetzen, sagen, das brauchst du, das nicht. Das ist nicht einfach.
Dieses “Gott-spielen” ist ätzend …
Ja, denn wenn man das Haus eines “Sammlers” auflöst, dann fällt da viel an. Auf der anderen Seite habe ich entdecken können, wie sehr mein Vater mich liebte, schon immer, auch, wenn wir viele Jahre nur wenig und keinen guten Kontakt hatten. Er hat tatsächlich jeden Zeitungsschnipsel über mich aufgehoben, jede Eintrittskarte, fein säuberlich ausgeschnitten und aufgeklebt. Aber auch Schulhefte meiner Mutter, alte Briefe, Zeichnungen – einfach so vieles, was ihn mir nach all den Jahren näherbringt. Aber den größten Schmerz, nämlich dass er sieht, wie sich sein Haus langsam in Nichts beziehungsweise ein leeres Haus ohne Teppiche und Bilder und Möbel verwandelte, den musste ich von ihm fernhalten.
Man nimmt den alten Leuten vieles, wenn sie in ein Heim müssen, weil sie natürlich kaum etwas aus ihrem bisherigen Leben mitnehmen können …
Ja, und man stellt sich über sie, weil man bestimmt, was das ist. Finde ich hart. Von 170 Quadratmeter auf 19, nur ein paar Schränke sind übriggeblieben. Du nimmst nicht einmal deine eigene Matratze mit ins Heim, weil die nicht schwer sein darf und leicht zu reinigen sein muss. Da die Würde zu behalten, ist eine Kunst.
Hast du aber hingekriegt, oder?
Es war ein mühsamer Weg, du kennst das. Aber ich wollte unbedingt, dass seine Sachen um ihn herum sind. Dennoch habe ich sehr oft das Gefühl, nicht zu reichen.
Mein Vater nennt seine Seniorenresidenz gern “Anstalt”: “Muss ich wieder in die Anstalt?” fragt er …

Nimmt das Schicksal meist mit Humor, kann aber auch mal im Tränenmeer baden: Katy Karrenbauer.
(Foto: IMAGO/APress)
Meiner sagt: “Ich hock‘ jetzt noch in dieser Bude, aber ich würde gern nach Hause. Oder muss ich wieder in Isolationshaft?” Und ich sag’ dann, er könne ja heute nochmal hier schlafen. “Ist bequemer, haste Recht”, sagt er dann, “aber wem gehört dieses Bett hier eigentlich?”
Spielst du dann mit oder sagst du jedes Mal die Wahrheit?
Das klappt nicht immer, aber klar, ich versuche es. Aber wenn er dann mit dem Auto los will, dann wird es real, dann muss man sagen, dass das Auto verkauft ist, das Statussymbol dieser Generation.
Auto bedeutet Freiheit, Selbstständigkeit …
… ja, alles, was er jetzt nicht mehr hat. Das ist bitter. Wenn es früher passierte, dass er seine Gedanken zu verlieren drohte, dann half ja immer seine Frau. Seit sie nun aber tot ist, ist er völlig auf sich gestellt, und da erst merkte ich auch, wie unselbstständig er ist, vieles hatte sie früher einfach übernommen. Wenn wir telefoniert haben zum Beispiel, dann war das Telefon auf laut gestellt und sie ergänzte die Sätze, die er angefangen hatte. Das nervte mich natürlich, dieses von mir aus dem Hintergrund als Rumgeblöke empfundene Dazwischengerede. Dass es eine Hilfestellung war, das habe ich erst viel später begriffen. Inzwischen könnte ich ja Demenzberaterin sein …
Manchmal ist man auch nur noch damit beschäftigt, die Gedanken des anderen zu ordnen, oder?
Ja, mein Vater war Architekt und viel im Ausland, da gerät ganz schön viel durcheinander. Also, was er inzwischen alles gebaut hat, mein lieber Mann (lacht). Neulich wollte er die Leitungen seiner Seniorenresidenz prüfen, er hatte Gas gerochen und gedacht – da er seiner Ansicht nach das Haus ja gebaut hatte – dass er sich da mal lieber persönlich kümmert.
Ich war neulich mit meinem Vater und seinen alten Freunden essen – der Sohn einer anderen alten Freundin saß auch dabei. Ich will sagen: Meine Rolle hat sich auch verändert. Ich bin nicht mehr die Tochter, ich bin die Vertraute, die Betreuerin, die Sekretärin. Die Umstellung fand ich schwierig, denn ich war sehr lange und gerne Tochter.
Das hatte ich natürlich nicht, denn ich bin meinem Vater ja erst in den letzten Jahren wieder nahegekommen. Früher hat er uns, meine Schwester und mich, zum Skifahren mitgenommen, aber auch da ist der einfach davon gewedelt und hat nur noch gerufen, wo bleibt ihr denn, wenn wir den Berg runtergekrochen sind. Ich fand das schrecklich. Er war einfach keiner, der gut mit Kindern umgehen konnte. Dafür bedankt er sich jetzt ab und zu, bei weitem nicht immer, aber das muss auch nicht sein, doch wenn er sich dann bedankt, dann ist das immer großes Kino (lacht). Manchmal sagt er sogar, dass er mich vermisst hätte, oder liebhat. Auf der anderen Seite fragt er, wo denn die Frau ist, die immer das frische Obst und die Blumen besorgt …
Und das bist du …
Ja, na klar. Und dann erzählt er mir, wie stolz er auf “unsere Kleene” ist, das bin ich auch.
I’m every woman!
Allerdings, endlich mal! (lacht) In der Demenzforschung heißt es ja, dass man die Wege, die ein Demenzkranker einschlägt, mitgehen soll, weil sonst die Schübe so groß sein könnten. Aber ich habe zu meinem Vater gesagt, dass ich immer ehrlich sein werde. Ich habe ihm gesagt, dass er eine Altersdemenz hat. Das hat mir das Herz gebrochen, aber sonst hätte ich gedacht, ich bin nicht fair oder räche mich sogar an ihm. Wenn er manchmal etwas vergisst, dann hat das auch etwas Gnädiges, und wenn es ihm wieder einfällt, dann gehe ich eben in diesem Moment darauf ein.
Du musst übrigens auch an dich denken.
Das stimmt, aber ich habe entschieden, dass ich meinen Vater so oft wie möglich an die frische Luft bringe, dass es sauber ist bei ihm und seine Klamotten ordentlich. Dass er Obst bekommt, dass er unterhalten wird. Er ist noch sehr weltoffen, und dass wir mit dem Rollstuhl unterwegs sind, das macht uns mobil. Da wird einem übrigens mal klar, wie sich der Blickwinkel verändert von einem stehenden Menschen zu einem, der immer sitzt. Der sich auf den oder die andere verlassen muss. Manchmal träumt er, dass er vor einen Bus rollt oder aus dem Rollstuhl quasi ausgekippt wird.
Krass übrigens, wie schlecht unsere Umwelt immer noch eingerichtet ist für Rollstühle, Kinderwagen, Gehhilfen …
Unfassbar, ja, keine Bänke für ältere Leute, hohe Bordsteige, man könnte so vieles verbessern. Für alte Menschen ist diese Welt gar nicht mehr gemacht.
Ich weiß auf jeden Fall, wie ich nicht werden will: alt und abhängig.
(lacht) Das suchen wir uns ja nicht aus. Manchmal muss man sich schon fragen, wie das bei einem selbst eines Tages aussehen wird, vor allem, wenn man keine Kinder hat. Bei mir ist es anders, weil ich so viel erfahre von meinem Vater, weil ich jetzt besser weiß, warum ich bin ich wie ich bin. Weil ich meinen Vater nun erst richtig kennenlerne. Ich weiß jetzt Stories aus meinen ersten sieben Jahren, da bin ich wirklich dankbar. Man muss jetzt alles fragen, irgendwann geht das nicht mehr.
Was wünschst du dir?
Ich wünsche mir, dass die Alten, die dieses Land wieder aufgebaut haben, in Würde alt werden können. Es schadet nicht, ein wenig demütig zu sein. Dass es junge Menschen mehr in soziale Berufe zieht, dass diese Berufe besser anerkannt und bezahlt werden, dass es ein soziales Jahr gibt vielleicht.
Was ist das Schlimmste im Heim?
Die Rufe der anderen, hinter den geschlossenen Türen, die um Hilfe rufen: “Ist denn da niemand?” Wenn ich meinen Vater da nicht ab und zu rausholen würde, ich könnte nie wieder in den Spiegel gucken.
Wie geht es weiter?
Wir feiern Weihnachten zusammen, und wenn es gut läuft, dann eben auch noch, wenn er 100 ist und ich 70 bin (lacht).
Mit Katy Karrenbauer sprach Sabine Oelmann