Warum sprechen deutsche Winemakers und Winefriends immer mehr Englisch? Weil der Zeitgeist nach Pairings und Flights verlangt, auf “Natural Wine” und “Cool Climate” setzt – und auf “Wine in Moderation” sowieso.
Wenn dieser Tage Deutschlands selbsternannte “Spitzenwinzer” in Mainz zusammenkommen, sprechen sie wieder viel Denglisch. Ein tolles Tasting hier, ein flotter Flight da – und zum Essen das passende Pairing. Schon das Programm der “Weinbörse” des Branchenverbands VDP hat die Tonality: Alle Vorträge sind in englischer Sprache – was wenig überrascht, schließlich heißen sie “Masterclasses”, nicht “Fachreferate”. Das wäre viel zu trocken – eine Charakteristik, die den Weinen vorbehalten sein soll. Wer will schon eine nüchterne Sprache, wenn Alkohol im Spiel ist? So fällt heute nicht mehr auf, was früher beschwipst gewirkt hätte. Etwa die gleichzeitige “Bottleshow” aus dem Anbaugebiet Rheinhessen.
Es sind selbstredend die Etiketten, auf denen der allgemeine Trend zur denglischen Weinsprache ins Auge springt. Egal, ob erstklassig oder Plörre, etabliert oder jung und wild: Der Drang zur Alleinstellung in überfüllten Weinregalen schafft irre Angebote wie “Crazy Horse” des Winzers Matthias Gaul. Oder “Fifty shades of GrauBRGNR”, “Allday RSÉ” und “Everthing happens for RSLNG” von einem Team ambitionierter Rich Kids, die sich “Young Poets” nennen und die Good Wine Co. betreiben. Nur die klein gedruckte “GmbH” lässt erkennen, dass man in Deutschland vinifiziert und nicht in der englischsprachigen Welt – selbst wenn man mindestens so viel hawaiianisches “hang loose” kultiviert wie Rebensaft.
Ernst Loosen, ein Spitzenwinzer von der Mosel, der das “Loose” verdientermaßen im Namen trägt, ging vor ein paar Jahren so weit, einen nicht so spitzenmäßigen Wein “Loosen up!” zu nennen. Zum Glück war er nur in US-amerikanischen Supermärkten zu haben. Ansonsten macht Loosen in der großen weiten Weinwelt auf Dr. No und verkauft Riesling als “Dr. L” – als wäre der akademische Grad aus Germany ein Zeichen der Distinktion.
Save Water, drink Riesling
Unterdessen dient das denglische Weinmarketing hierzulande vor allem den sogenannten Einstiegsweinen – auch “Allrounder” genannt, zu Preisen unter 10 Euro. Da heißen Rieslinge “Wild at Heart”, “Just Riesling” oder “Save Water, drink Riesling”. Ein Müller-Thurgau ist “In the Mood for Müller”. Und wenn es doch ein bisschen teurer wird, bemüht sich das Weingut von Winning immerhin mit dem Namen “Win Win” einen Vorteil zu suggerieren.
Englisch dient auch Weinbaronen wie den Moselanern Markus Molitor und Roman Niewodniczanski, seitdem sie sich in die hiesigen Supermärkte trauen. Ihre Abfüllungen für Lidl tragen die Namen “Composition M” und “Van Volxem and Friends”.
The White Thing aus Bodenheim
Das rheinhessische Weingut Kühling-Gillot hat derweil die roten und weißen Traubenmixturen “Deep red” und “The White Thing” im Angebot. Vor Ort in Bodenheim veranstaltet man mit dem Weingut Battenfeld Spanier “Liquid Life”: “Genussevents, um den Flair der Metropolen ins beschauliche Rheinhessen zu holen”.
Tatsächlich liegt in dem Angebot ein Teil der Erklärung, warum Englisch in einer Branche grassiert, die einmal mehrheitlich Französisch und nicht selten Deutsch gesprochen hat. Wo Visitors “Tastings” statt “Verkostungen”, “Flights” statt “Querverkostungen” oder “Pairings” statt “Weinbegleitungen” verlangen, ist urbane Coolness angesagt – und “Kühling” wird scheinbar zum Programm. Der Winzer Nik Weis bringt es ironisch auf den Punkt, indem sein traditioneller “St. Urbanshof” an der Mosel einen “Urban Riesling” hervorbringt.
German Wine als Ersatzdroge britischer Popstars
Eine andere Erklärung für den Hang zum Englischen kommt aus der Geschichte. Die englische Kundschaft verkürzte die im Anbaugebiet Rheingau gelegene Stadt Hochheim im 19. Jahrhunderts zu “Hock”. So wurden “hocks” in der viktorianischen Zeit zum Inbegriff für Weißweine aus Deutschland. Dazu zählte irgendwann auch eine ziemlich blaue Nonne: “The “Blue Nun” – ein gepanschter Exportschlager der Nachkriegszeit. Er diente sogar David Bowie und Rod Stewart als Ersatzdroge. Ein Foto belegt es.
Im Rheingau zeugt der “Königin Victoriaberg” noch heute von der deutsch-britischen Connection – und von einem bestimmten “Hockgefühl”. Darauf setzt auch der Rheingau-Winzer Johannes Leitz mit einem trockenen Weinchen namens “Eins zwei dry”. Ein anderes heißt “Magic Mountain”. Und wenn es dann auf einmal nüchtern sein darf, also ohne Alkohol, schreckt Leitz – wie viele andere – nicht vor einer Sprache zurück, die auch Coca Cola einfallen könnte: “Eins-zwei-Zero”. Ernie Loosen hat lässig nachgezogen: mit “Dr Lo”!
Was heißt hier Easy Drinking?
Überhaupt muss Englisch für das Problemthema Alkohol herhalten – auch politisch. Was für einen guten Wein die Balance aus Zucker und Säure ist, scheint sprachlich die Verbindung aus Convenience und Nudging zu leisten. “Drink responsibly!” klingt nun einmal freundlicher und unverbindlicher als “Trink verantwortungsbewusst!”. Im digitalen “Genießershop” des Deutschen Weininstitut kann man sich über “Wine in moderation” informieren: eine Kampagne gegen Missbrauch, die übersetzt “Wein in Maßen” bedeutet.
Unterdessen bleibt unklar, was mit dem oft bemühten Motto “Easy drinking” gemeint ist: Beherzt zu trinken? Leichte Weine zu trinken? Immer zu trinken? Wissen sollte man, dass es nicht dasselbe bedeutet wie “I go easy on drinking” – “ich trinke nichts!
Winemaker Günther Jauch
Es ist wie immer ein Vorzug der englischen Sprache, dass sie gnädig mit den Fakten ist und sie mitunter verschleiert. Manche setzen auch für das Geschäft bewusst auf diese Unschärfe. Nicht nur, dass “Winemakers” männlich und weiblich sein können. Er oder sie ist vor allem nicht dasselbe wie ein “Winzer” oder “Kellermeister” – zwei deutsche Begriffe, die nicht jeder verwenden darf, weil sie durch Ausbildungen und Regeln geschützt sind. Dasselbe gilt für “Winzereibetrieb”, “Weingut” oder “Kellerei” – die gelegentlich zur “winery” verkürzt werden. Quereinsteiger mit Geld und Elan, aber ohne formale Qualifikation, profitieren davon. So darf sich Günther Jauch mit seinem exquisiten Weingut von Othegraven an der Saar streng genommen gar nicht “Winzer” nennen – “Winemaker” schon.
Hinzu kommt, dass das internationale Geschäft immer wichtiger geworden ist – sowohl für die Erzeugung wie für den Absatz. Das verlangt Merkmale, die überall auf der Welt verstanden werden. Wein aus kühlen Klimaregionen wie Deutschland werden auf “Cool Climate” verkürzt. Weine, die als “Reserve” später und teurer verkauft werden, heißen mittlerweile “late release”.
Das ABC: All but Chardonnay!
Zurück in Rheinhessen, entstehen beim Weingut von Philipp Wittmann allerlei “Estate Wines”. Andernorts werden sie “Gutsweine” genannt, so wie es der VDP verlangt. Doch Wittmann hat das Standing, um es anders zu machen. So auch das Weingut Georg Breuer, das den VDP 2002 verlassen hat und ebenfalls “Estates” produziert.
Immer mehr Weine kommen tatsächlich aus “Estates” – in Australien, in Neuseeland und nicht zuletzt in den USA. Wenn sie geschmacklich besonders reinhauen, heißen sie “Blockbuster”. Wenn sie möglichst ohne menschliche Eingriffe wie Industriehefen oder Filter entstehen, sind es “Natural Wines”. Und wenn sie mit den immergleichen Kniffen immergleich schmecken, ziehen sie das Hassmotto “ABC” auf sich: “All but Chardonnay”!
Als kultureller Wendepunkt – weg vom Französischen, hin zum Englischen – gilt übrigens das sogenannte “Urteil von Paris” im Jahr 1976. Während einer Blindverkostung von roten und weißen Spitzenweinen aus Frankreich und den USA gaben die mehrheitlich französischen Kritiker den Weinen aus dem kalifornischen Napa Valley in allen Kategorien den Vorrang. Es war der Moment, in dem ein US-amerikanischer Jurist namens Robert Parker seine Chance witterte und schon bald seine Weinnotizen als “Wine Advocate” veröffentlichte. Dieser Schritt Parkers hin zum einflussreichen Kritiker sollte sich nicht nur auf die Weinsprache auswirken, sondern sogar die Machart von Wein in aller Welt prägen.