Gleichberechtigung entsteht nicht automatisch, bloß weil “Gleichberechtigung” draufsteht. Und Bücher für Frauen müssen schon gar nicht im Frauenbücherregal stehen – denn es bedeutet, dass kaum ein Mann sie je anrühren wird. Das ist Verschwendung von geistigen Ressourcen! Und das können wir uns nicht leisten.
Ich habe mal gestöbert. Im Regal meines Mannes. Da habe ich viele Bücher gefunden, die ich auch lesen möchte. Wahrscheinlich habe ich ihm welche davon geschenkt. Gutes Regal jedenfalls. Dann wieder zurück zu meinem Regal: Ich bekomme als Journalistin viele Bücher angeboten, geschickt, gefragt, ungefragt, aber die Mischung ist wild. Wenig Frauenliteratur. Gut so. Neulich habe ich gelesen, dass die unglaublich erfolgreiche Schriftstellerin Jojo Moyes gesagt hat, dass sie den Begriff “Frauenliteratur” total nervig findet. Sie sagte wortwörtlich beim NDR: “Ich hasse ihn. (…) Und ich glaube, viele Männer entsagen sich durch diesen Begriff einiger Bücher, die sie vielleicht mögen würden, wenn die Bücher nicht unter dem Begriff kategorisiert wären.”
Damit mag sie recht haben, denn ein literarisches Phänomen der letzten Jahre ist, dass sich die Grenzen der Genres verwischen, es gibt viele Bücher, die Männer und Frauen gleichermaßen gern lesen. Moyes sagt, sie persönlich liebe alle möglichen Arten von Fiktion und empfinde den Begriff “Frauenliteratur” als einengend: “Wir sollten einfach nur den Begriff Literatur verwenden.” Das ist nachzuvollziehen. Denn Frauen schreiben wunderbare Bücher, für Frauen, aber auch für Männer, und genauso ist es umgekehrt.
So weit, so gut: Eine Schnellrecherche meinerseits zeigt, dass es folgendermaßen aussieht, wenn man beim Onlinehändler seines Vertrauens “Frauenliteratur” eingibt:
“Der heutige Tag: Ein Stundenbuch der Liebe”. Dazu steht geschrieben: “Helga Schubert erzählt davon, wie man Frieden machen kann mit diesem Leben. Sie zeigt, wie man Lebensgeschichte in Literatur verwandeln kann.” Und: “Ich war so berührt, dass ich dachte, man müsste eine neue literarische Skala eröffnen: den Schubert-Moment.”
Was daran spezifisch frauenliterarisch sein soll, erschließt sich nicht bei einem Buch, in dem es um ein Paar geht, Mann und Frau, das nach 50 gemeinsamen Jahren krankheitshalber voneinander Abschied nehmen muss und von dem es heißt, es wandele Leben in Literatur um. Es mag von einer Frau geschrieben sein. Vielleicht nimmt die Betrachtung aus der Position der Frau sogar den größten Stellenwert ein, aber das kann doch auch ein Mann lesen, sogar, ohne zu viel Fantasie aufbringen zu müssen.
Zum Roman “Das Flüstern der Bienen”, einem internationalen Bestseller, heißt es bei Amazon: “Der Roman, der Hunderttausende Leserinnen verzaubert.” Dabei ist dies ein Buch “voller Lebensfreude und Hoffnung und ein großes Lesevergnügen”, steht da auch. Warum also sollte dieser Roman nur Leserinnen und nicht Leser verzaubern? Wie eingeschränkt das Geschäftsfeld doch ist, wenn 50 Prozent der Menschheit gar nicht adressiert werden.
Auch in “Herbstwege: Ein Sylt-Roman” fragt man sich, warum der Roman im Frauenregal landet, denn es geht zwar um die Schwestern Helen und Irene, aber es geht auch um Helens Mann Daniel, der nicht nach Sylt – wie die beiden Frauen – flüchtet, sondern nach Mallorca, wo er über seine Zukunft nachdenken möchte. Dieses Buch könnte also ebenso in der Abteilung “Selbstfindung”, “Urlaub”, “Sylt” oder “Mallorca” oder “Inselroman” stehen, aber eben auch bei “Frau” oder “Mann”. Und muss es das überhaupt? Kann es nicht einfach ein Roman sein, der von Männern und Frauen handelt, auf verschiedenen Lieblingsinseln der Deutschen?
Ich versteh’ schon, wer “Bretagne”-Krimis” liest, will auch neue Muschel-Rezepte bekommen und bei “Mord in Istanbul” kann man so schön seine Vorurteile pflegen. Aber diese Kategorisierung – diese Katalogisierun – ist die wirklich nötig? Sollten Mädchen nicht auch “Moby Dick” lesen, auch wenn keine einzige Frau darin vorkommt und Jungs “Die Buddenbrooks”, auch wenn es um den “Verfall einer Familie” geht und “Familie” ja nun eindeutig, wenn es nach Frauen- und Männerliteratur geht, ins Regal “Frauengedöns” gehört?
Zefix, die Oma chillt!
Kommen wir zu einem Buch, das sicher gleichermaßen Frauen und Männer fasziniert, wenn man dann auf Provinz, Mundart, deftige Schwänke und Krimis steht. “Rehragout-Rendezvous: Der elfte Fall für den Eberhofer”. Diese Reihe läuft nicht nur als Buch super, sondern auch als Kinofilm und im Fernsehen. Die Zusammenfassung des elften Teils der beliebten Roman-Reihe von Rita Falk lautet so: “Was gibt’s zum Essen? Nix. Die Oma kocht nicht mehr.” Zefix! Was ist denn in die Eberhofer-Weiber gefahren? Die Oma beschließt, sich der häuslichen Pflichten zu entledigen – und fortan zu chillen. Und die Susi, also dem Eberhofer sei Oide, will ihre Karriere als stellvertretende Bürgermeisterin verfolgen. Da fühlt sich der Sex mit ihr im schicken Neubau für den Franz an, als hätten sie ihn gratis zu den Esszimmermöbeln dazu bekommen.
Zu allem Übel wird dann auch noch der Steckenbiller Lenz vermisst. Der Franz soll gefälligst eine Vermisstenanzeige aufgeben, die Mooshammer Liesl befürchtet das Schlimmste. Nur: Eine Leiche ist weit und breit nicht in Sicht. Damit steht der Eberhofer vor einer schier unlösbaren Aufgabe.” Und was genau ist daran nun Frauenliteratur? Die Charaktere dieser Typen, Männer und Frauen, sind so genial gezeichnet, dass sie ALLE ansprechen.
Genauso falsch fühlt sich dieses Etikett für “Stay away from Gretchen: Eine unmögliche Liebe” an. Der Roman, der von einer großen Liebe in dunklen Zeiten handelt, erzählt vom bekannten Kölner Nachrichtenmoderator Tom Monderath, der sich Sorgen um seine 84-jährige Mutter Greta macht, die immer mehr vergisst. Die Diagnose Demenz macht Tom fassungslos. Bis die Krankheit seiner Mutter zu einem Geschenk wird: Erstmals erzählt Greta aus ihrem Leben – von ihrer Kindheit in Ostpreußen, den geliebten Großeltern, der Flucht vor den russischen Soldaten im eisigen Winter und ihrer Zeit im besetzten Heidelberg. Als Tom jedoch auf das Foto eines kleinen Mädchens mit dunkler Haut stößt, verstummt Greta. Zum ersten Mal beginnt Tom, sich eingehender mit der Vergangenheit seiner Mutter zu befassen.
WO BITTE IST DAS FRAUENLITERATUR? Ein Mann steht im Mittelpunkt, ein Tom! Dann kann doch auch ein Mann lesen, wie dieser Tom sich um seine demente Mutter sorgt, denn das ist kein Frauenkram, es ist fucking Care-Arbeit, die von jedem, ob nun Mann oder Frau, gemacht werden muss!
Mutmacher, Karrieretipps und Pornoanleitung für Männer
Aber jetzt, meine Damen, jetzt wird es lustig, denn wenn Sie nun “Männerliteratur” suchen, dann kommen Sie auf folgende Ergebnisse, die durchaus erhellend sind:
- Beckenbodentraining für Männer einfach und effektiv: Alles, was Männer über das Beckenbodentraining wissen sollten sowie umfassende Übungen für den Alltag
- Selbstverteidigung für die Straße: Worauf es im Ernstfall wirklich ankommt
- Online Dating für Männer: Frauen anschreiben, online flirten, richtig kennenlernen und erobern
- Mit Kurzgeschichten Spanisch lernen: 15 zweisprachige Kurzgeschichten für Anfänger, Wiedereinsteiger & Fortgeschrittene, mit Vokabellisten (damit Mutti besser abfragen kann?)
- Der sanfte Krieger: Ein Mutgeber für hochsensible Männer
- Wer fragt, der führt – systemische Fragetechniken: Wie Sie zu einer erfolgreichen Führungskraft werden, authentisch & einflussreich auftreten & so alle Ziele erreichen (für angehende Führungskräfte)
- Washington Square: Roman (wie der in der Männer-Liste landen konnte, ist mir unbegreiflich, handelt er doch von einem schüchternen Mädchen der besseren Gesellschaft, deren Vater sie vor einem Hallodri bewahren will, aber am Ende geht es eben um die Analyse menschlicher Abgründe, und da muss natürlich ein Mann ran)
- Dunkle Verführung und Beeinflussung: Die Kunst verdeckter Überzeugungsmethoden. So gewinnen Sie andere Menschen für sich und schützen sich vor Manipulation
- Selbstbefriedigung: Porn Sex Storys für Männer – No 1: Quarantäne: Geile Geschichten zum Onanieren von Alicia Schwarz
Da fällt einem oder einer doch fast nichts mehr zu ein, oder? Beckenbodentraining – eindeutig und bisher immer die Domäne der Frauen, die sich nach der Geburt der Kinder darum kümmern sollten, in mittleren Jahren beim Lachen (sofern noch Gründe vorhanden) nicht in die Hose zu pieseln (der Druck! die nicht mehr vorhandene Muskelkraft! die nicht mehr vorhandene Enge!). Auch das inzwischen in Männerhänden! Und Selbstverteidigung: Wir dachten, jeder Typ kann einem anderen anständig in die Eier treten oder die Visage polieren, auch hier jedoch Tipps für den Mann, der sich daraufhin vielleicht besser gleich noch “Der sanfte Krieger – Mutgeber für hochsensible Männer” bestellen sollte, um dann nach der Schlägerei besser damit klarzukommen. In Grund und Boden quatschen reicht nicht!
Bei der Frauenliteratur der oberen Ränge übrigens kein Wort über Selbstverteidigung, Beckenboden oder Tipps für die Karriere oder Geldanlage (hier reicht es anscheinend aus, die Frau in der Sicherheit der Rosamunde-Pilcher-Welt zu wiegen), dafür bei den Männern gleich mehrfach: mit verdeckten Überzeugungsmethoden nämlich. Oder systemischen Fragetechniken, jawoll! Da muss doch was draus werden aus den Buben! Und wenn er dann genug gelernt hat, der Mann, dann ist endlich Entspannung angesagt: Geile Geschichten zum Onanieren. Natürlich verfasst von – einer Frau.
Ich muss los, mein Buchladen schließt gleich. Ein lehrreiches Wochenende wünsche ich allerseits.